Die Entstehungsgeschichte des smart – Teil 3: Der Elchtest und seine Auswirkungen

Mit Teil 1 und Teil 2 unserer kleinen Serie hätten wir die Entwicklungsgeschichte des smart eigentlich abgedeckt, denn 1997 ist das Projekt offiziell abgeschlossen. Das Fahrzeug wird auf der IAA in Frankfurt der Öffentlichkeit präsentiert, die Auslieferung des smart soll im Frühjahr 1998 beginnen. So hätte der smart dann ausgesehen:

Doch im Spätherbst 1997 geschieht etwas, das niemand vorhersehen konnte. Die gerade erst präsentierte Mercedes A-Klasse kippt beim Elchtest – ein Schock für den gesamten Konzern. Auch der schmale und hohe smart weist die gefährliche Kipptendenz der A-Klasse auf, hektisch wird Nachbesserung angekündigt, die Markteinführung verschiebt sich.

Auf dem Höhepunkt des Elch-Debakels stellt ein Journalist dem damaligen PKW-Vorstand Jürgen Hubbert die unvermeidliche Frage: „Warum hat niemand früher bemerkt, daß der smart beim Elchtest kippt?“ Hubbert antwortet mit einem PR-GAU: „Weil er im Test mit Stützrädern gefahren ist.“

Einer der Urväter des smart, Johann Tomforde, wird für das Versagen beim Elchtest verantwortlich gemacht und muss den Konzern verlassen. Erfahrene Mercedes-Ingenieure werden ans Reisbrett gesetzt. Innerhalb weniger Monate sollen sie massive Änderungen am smart vornehmen:

  • starke Tieferlegung des Fahrwerkes zur Absenkung des Fahrzeugschwerpunktes
  • erhebliche Verbreiterung der Spurweite hinten
  • Änderung des Radsturzes
  • Statt 155er Reifen rundum wird auf 135er vorne und 175er Reifen hinten umgestellt
  • Die Lenkung wird indirekter ausgelegt um schnelle Lenkmanöver zu entschärfen
  • Der Fahrersitz wird tiefergelegt, um den Fahrzeugschwerpunkt abzusenken
  • Die Vorderachse wird mit Zusatzgewichten beschwert

Da ESP zu teuer für den Kleinstwagen ist, wird das abgespeckte Stabilitätsprogramm „TRUST“ entwickelt, das in heiklen Situationen auskuppelt, damit sich das Fahrzeug stabilisieren kann.

Die konstruktiven Eingriffe schossen weit über das Ziel hinaus. Das harte Fahrwerk übertrug jede Unebenheit ungefiltert an die Insassen. Die indirekte Lenkung im Zusammenspiel mit schmalen Vorderrädern sorgte für starkes Untersteuern bei Kurvenfahrten.

Aber: Durch diese Maßnahmen wurde optisch aus dem schmal und hoch wirkenden Stadtauto ein knackiger kleiner Cityflitzer. Der smart stand satter auf der Straße und wirkte dynamischer. Aufgrund des gestiegenen Gewichtes wurde die Motorleistung von 40 bzw. 50 PS auf 45 bzw. 54 PS angehoben.

Auf dem Autosalon in Turin wird 1998 ein letztes Konzeptfahrzeug vor Serienstart gezeigt, das neben edlen Show-Attributen den Seriensmart in seiner neuen Form präsentiert: Tiefer, breiter, sicher.

Zum Vergleich – der smart vor und nach dem Elchtest:

Nicholas Hayek ist zu diesem Zeitpunkt äußerst unzufrieden mit dem Projekt. Sein Konzept sah vor allem alternative Antriebe vor, wie Hybrid- oder Elektroantrieb. Hayek kann die ständig steigenden Entwicklungskosten nicht mehr mittragen und veräußert Ende 1998 seine Anteile. Das mittlerweile „Micro Compact Car AG“ genannte Unternehmen wird so zur 100%igen Mercedes-Benz Tochter. Mit Hayek verlässt der stärkste Befürworter des elektrisch angetriebenen smart das Unternehmen.

Das smart „city coupé“ wird Ende 1998 in den zwei Austattungslinien „smart & pure“ sowie „smart & pulse“ und in vier Panelfarben -schwarz, weiß, rot und gelb- sowie ausschließlich mit anthrazitfarbener Tridion Sicherheitszelle präsentiert. Die zwei erhältlichen Verbrennungsmotoren waren zwar recht sparsam, aber alternative Antriebe suchte man vergeblich in der Preisliste. Dafür fanden sich Selbstverständlichkeiten wie „rechter Außenspiegel“, „wärmedämmende Grünverglasung“ oder „abschließbarer Tankdeckel“ in der Liste der Sonderausstattungen.

Erst heute, 15 Jahre und einige Modellgenerationen später, wird der smart fortwo electric drive in Serie produziert. Nicholas Hayek hat die Verwirklichung seiner Idee nicht mehr erlebt, er verstarb Mitte 2010.

Johann Tomforde, der 1972 mit ersten Skizzen den smart ins Rollen brachte, betonte kürzlich in einem Interview, daß er nach wie vor fest vom Konzept des smart überzeugt sei: „Wenn das Management jetzt keine großen Fehler macht, dann läuft die Kiste“.

Verdient hätten es alle drei: Hayek, Tomforde und der smart.

Übrigens: Bei Auto Motor und Sport ist eine interessante Bildergeschichte zu diesem Thema zu sehen. In der Fotostrecke werden verschieden Prototypen gezeigt, so auch ein als Fiat Cinquecento getarnter smart und andere Raritäten aus der Geschichte des smart. Ein Blick in die Galerie lohnt sich: Auto Motor und Sport Bildergalerie

Quellen: daimler.com, autobild.de, Auto&Design Magazin, Zeit, Auto Motor und Sport

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